Neustadt unterm Hakenkreuz
„Neustadt an der Weinstraße“
Die Jahre 1933 bis 1945 prägten in besonderer Weise das Stadtbild. Während dieser Zeit wurde „Neustadt an der Haardt“ in „Neustadt an der Weinstraße“ umbenannt. Bereits 1933 änderte der Stadtrat einige Namen von Straßen und öffentlichen Plätzen. So wurde etwa die Poststraße in „Josef-Bürckel-Straße“ und die Heine-Straße in „Dietrich-Eckert-Straße“ oder der Marktplatz in „Adolf-Hitler-Platz“ umbenannt.
„Villa Böhm“ – Sitz der Gauleitung
Unter dem Einfluss der NSDAP wurde die „Villa Böhm“ zum Sitz des Gauleiters Josef Bürckel. Einige wichtige politische Ämter wie das Gaukulturamt oder das Gaupropagandaamt wurden in Neustadt angesiedelt. Die Gestapo-Zentrale wurde von Ludwigshafen nach Neustadt verlegt und in der ehemaligen Turenne-Kaserne wurde eines der frühen Konzentrationslager eröffnet.
Jüdisches Leben in Neustadt
Obwohl seit dem 13. Jahrhundert in Neustadt jüdisches Leben belegt ist, wurde in der Nacht des 9. November 1938 die Synagoge und das jüdische Altenheim rücksichtslos niedergebrannt. Die letzten Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden auf Befehl des Gauleiters Bürckel am 22. Oktober 1940 in das französische Internierungs- und Vernichtungslager Gurs deportiert. Nur wenige haben überlebt.
> Das Ausstellungsexponat ist die Grafik “Neustadt an der Weinstraße“ nach einer Lithografie von Heinrich Strieffler aus dem Jahr 1936 mit Beschriftung und Hervorhebung von Gebäuden und Straßen.
Auf dem Weg zur Macht
Stefan Schaupp
Es war keineswegs ausgemacht und unabwendbar, dass die Weimarer Republik zum Scheitern verurteilt war. Dennoch wandten sich immer mehr Menschen von ihr ab und suchten ihr ‚Heil‘ im Nationalsozialismus.
Im Sommer 1932 erfasste die Statistik in der gesamten Pfalz 90.000 Arbeitslose – die politische und die wirtschaftliche Krise hatte ihren Höhepunkt erreicht. Nicht zuletzt durch eine ausgeprägte Propagandatätigkeit und eine häufige Präsenz während der Wahlkämpfe setzte die NSDAP ihren Aufstieg zur Volkspartei fort. Mit einfachen Parolen sollten die Menschen auf ihre Seite gebracht werden. „Gebt Hitler die Macht, und er wird Euch Brot und Arbeit geben“, vermeldete im Juli 1932 die „NSZ-Rheinfront“, das Parteiblatt der pfälzischen NSDAP.
Bereits 1927 war Neustadt zur Gauhauptstadt aufgestiegen und fungierte im Juli 1932 als Gastgeber des Gautreffens der pfälzischen NSDAP, zu dessen Beginn große SA- und SS-Einheiten durch die Stadt marschierten. Unmittelbar vor den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 veranstaltete die Führungsriege der pfälzischen NSDAP unter Gauleiter Josef Bürckel eine vierzehntägige Propagandarundfahrt durch die Region, zu deren Höhepunkt ein Besuch Hitlers am 29. Juli hochstilisiert wurde. Bürckel holte den Parteivorsitzenden am Flugplatz in Lachen-Speyerdorf ab, danach sprach dieser vor geschätzten 50.000 Menschen im Neustadter Stadion.
Zu Sündenböcken machten die NS-Wahlredner die demokratischen Parteien, die Juden und die Kommunisten und stachelten ihre Schlägertrupps in Form der SA zu Gewalt gegen diese an. Die Bemühungen der NSDAP waren vom Erfolg gekrönt – leider. Sie erreichte am 31. Juli 1932 in Neustadt mit 51,1% der Stimmen sogar die absolute Mehrheit, danach folgten weit abgeschlagen mit jeweils 15,5% die SPD und das Zentrum. Bereits im November musste der Reichstag erneut gewählt werden; zwar kam die NSDAP in Neustadt nur noch auf 45,3% der Stimmen, die Erlangung der Macht war aber trotzdem nicht mehr fern.
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. In Neustadt feierten 700 Nationalsozialisten ihren Triumph mit einem Fackelzug durch die Stadt. Dass nur 200 Gegendemonstranten der KPD auf die Straße gingen, mutet schon wie ein böses Omen für die Zukunft an.
Die Sicherung der Macht
Stefan Schaupp
Am 27. Februar 1933 verhöhnte die NSZ-Rheinfront ihre politischen Gegner mit den Worten: „… wo war denn nun das „andere“ Neustadt? … Es gibt von heute ab nur noch ein nationalsozialistisches Neustadt!“. Zum Leidwesen der anderen behielt die Zeitung recht. Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 wählten in Neustadt 53 % NSDAP, 15 % Zentrum/BVP, 14 % SPD und 10 % KPD. Das „andere“ Neustadt verschwand nun schnell und weitgehend geräuschlos.
Am 10. und 11. März 1933 wurden circa 200 politische Gegner verhaftet, die meisten von ihnen waren Sozialdemokraten und Kommunisten. Anfang April erging ein Verbot gegen 18 angeblich „marxistische Organisationen“, darunter der Volkschor und die Naturfreunde. Am 12. Mai 1933 löste sich die SPD in Neustadt auf, ihre Stadträte traten zurück, die des Zentrums und der BVP folgten Ende Juni. Am 23. Juni 1933 zogen SA-Männer die Fahne des Neustadter SPD-Ortsvereins johlend hinter sich her und verbrannten sie an der Ecke Goethestraße/Landauer Straße. Die Demokratie war nur noch ein Häuflein Asche.
Am 15. Mai 1933 berichte der Pfälzische Kurier, dass 3000 HJ-Mitglieder auf dem Neustadter Marktplatz eine Verbrennung „marxistischer und anderer undeutscher und jugendvergiftender Bücher, Zeitschriften und Zeitungen“ vorgenommen habe. Zu diesem Zeitpunkt hieß der Marktplatz schon „Adolf-Hitler-Platz“. In seiner konstituierenden Sitzung hatte der Stadtrat am 27. April die Umbenennung beschlossen und auch die Poststraße in „Josef-Bürckel-Straße“ umbenannt. Bürckel, Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg wurden außerdem zu Ehrenbürgern der Stadt ernannt.
Großes Augenmerk richteten die neuen Machthaber auf die Erziehung der Jugend und ihre Infiltration mit der Ideologie des Nationalsozialismus. Am Humanistischen Gymnasium begann das Schuljahr 1933/34 mit einer Unterweisung der Schüler zur „Bedeutung und Größe des historischen Geschehens der nationalen Revolution“, an der Oberrealschule drehten sich die Aufsatzthemen unter anderem um die Frage, warum „sich die deutsche Jugend zur nationalsozialistischen Bewegung hingezogen“ fühlt und am Mädchen-Lyzeum mussten sich die Eingangsklassen mit der Lektüre des Werkes „Deutsche Jugend – Dein Führer“ beschäftigen.
Im Bereich der Kultur galt es, die ideologisch belastete Idee der Volksgemeinschaft zu transportieren. Chöre sollten bei ihren Darbietungen „die Fülle des völkischen Geschehens der Gegenwart in Stadt und Land“ berücksichtigen, wie es die NSZ-Rheinfront formulierte.
Auch das Wirtschaftsleben konnte sich den neuen Machthabern nicht entziehen. Der 1. Mai wurde zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ umbenannt und schon 1933 in Neustadt entsprechend begangen, und zwar als „Abbild der künftigen deutschen Volksgemeinschaft“.
Die Instrumente der Macht
Stefan Schaupp
Zur Sicherung ihrer Macht und zur Abschreckung begannen die Nationalsozialisten damit, politische Gegner in sogenannte Schutzhaft zu nehmen. Die Anfang März 1933 in Neustadt Verhafteten kamen entweder ins Gefängnis des Amtsgerichtes oder in das frühe Konzentrationslager, das seit 10. März 1933 in der Turenne-Kaserne am südlichen Stadtrand errichtet worden war und bis zum 13. April existierte. In den ersten fünf Tagen wurden rund 80 Personen eingeliefert. Eine Verfügung der Regierung der Pfalz vom 14. März beinhaltete, dass alle Schutzhäftlinge in der Pfalz in das Neustadter Lager zu bringen waren. Damit stieg die Zahl der Inhaftierten bis Ende März auf über 300 und das Lager war überfüllt.
Die Bewachung des Lagers hatten circa 220 SS- und SA-Männer übernommen, die eine Ausbildung zu Hilfspolizisten absolvierten. Sie waren auch verantwortlich für die an den Gefangenen verübten Misshandlungen und Gewalttaten. In den ersten Apriltagen begann die Auflösung des Lagers. Von den zu diesem Zeitpunkt noch inhaftierten 280 Männern wurde die Hälfte entlassen, die andere Hälfte in Gefängnisse verlegt.
Die meisten Gefangenen entstammten der KPD und SPD, einige auch dem Zentrum oder der BVP. Hinzu kamen Gefangene, die teils angeblich, teils tatsächlich die Separatisten unterstützt hatten, sowie circa 50 Juden. Gerade die letzten beiden Gruppen erlebten besonders brutale Gewalttätigkeiten und Demütigungen. Für alle Gefangenen galt, unmittelbar nach der Einweisung das „Horst-Wessel-Lied“ auswendig zu lernen und zweimal am Tag auf dem Gelände der Kaserne zu exerzieren, ferner mussten sie immer wieder den „Hitlergruß“ zeigen. Mitte März hatten die Grausamkeiten gegen die Gefangenen einen Höhepunkt erreicht. Nach schweren Schlägen bis zur Bewusstlosigkeit und der Androhung weiterer Gewalt sprang am Abend des 16. März 1933 der Häftling Hermann Zahm, ein Mitglied des Reichsbanners, aus dem dritten Stock der Kaserne. Dabei verletzte er sich schwer und wurde ins Neustadter Krankenhaus gebracht.
Die regionale Presse hatte einen ganz eigenen Blick auf die Ereignisse im Lager. Laut einem Bericht der Pirmasenser Zeitung bekämen die Häftlinge „Vorträge im Lager, man gibt ihnen gute Zeitungen, man verschafft ihnen Bewegung in frischer und gesunder Luft – und sie lernen wieder Ordnung und Disziplin, die Grundpfeiler des neuen Staates“.
Die „Etablierung der NS-Diktatur“, so die Historikerin Miriam Breß, war „ohne das Zwangsmittel der Schutzhaft nicht zu denken“. Dazu hat das frühe Konzentrationslager Neustadt beigetragen und erfüllte somit seinen Zweck.
Neustadt als Wein- und Gaustadt
Stefan Schaupp
Zum Zeitpunkt der Machtübernahme 1933 zählte Neustadt etwa 23.000 Einwohner und war damit nur die siebtgrößte Stadt der Pfalz. Dennoch befanden sich hier seit 1927 sowohl die Leitung als auch die Geschäftsstelle des NSDAP-Gaus „Rheinpfalz“. Im Jahr 1935 erwarb die Stadt auf Druck der NSDAP die Villa Böhm in der Maximilianstraße 25, die fortan Gauleiter Josef Bürckel als repräsentative Residenz diente, auch wenn 1939 Kaiserslautern zur Gauhauptstadt wurde und die Verwaltung des mittlerweile „Westmark“ genannten Gaus 1940 nach Saarbrücken wechselte.
Im Januar 1937 etablierte die „Geheime Staatspolizei“ (Gestapo) eine eigene Dienststelle in Neustadt, die in der heutigen Konrad-Adenauer-Straße 10 angesiedelt war. Im Keller des Gebäudes befand sich ein ‚Hausgefängnis‘, in dem die Häftlinge grausamen Misshandlungen ausgesetzt waren. Dort erhängte sich Ende 1941 der Tierarzt Philipp Bus, der als ehemaliger Separatist und wegen angeblich „defaitistischer Äußerungen“ in die Fänge der Gestapo geraten war. Besonders berüchtigt war auch das „verschärfte Verhör“, das vor allem bei ausländischen Zwangsarbeitern angewandt worden war. Darüber hinaus sollen im Gestapogebäude mindestens 20 Todesstrafen vollstreckt worden sein.
Schon seit 1929 fand in Neustadt das „Pfälzische Weinlesefest“ statt, als dessen Höhepunkt die Wahl der pfälzischen Weinkönigin galt. Das Fest geriet nach der Machtübernahme in den ideologischen Sog und sollte nun „im einheitlichen nationalsozialistischen Geiste“ stattfinden. Der 1933er Jahrgang erhielt den sinnigen Namen „Gleichschalter“. Die Wahl der Weinkönigin war zunächst abgeschafft, wurde aber im Jahr darauf von Bürckel wiedereingeführt.
Ganz im Zeichen der Weinstraßeneröffnung stand das Weinlesefest 1935, der Wein des Jahrgangs hieß „Rassereiner“, Hilde Köhler aus Gimmeldingen erhielt die Krone der nunmehr „Deutschen Weinkönigin“, auch wenn diese Bezeichnung erst 1937 offiziell wurde. Mit der Eröffnung der „Deutschen Weinstraße“ am 20. Oktober 1935 gelang Bürckel ein außerordentlicher Propagandaerfolg, der vor allem den Winzern zugutekommen sollte. Bereits eine Woche zuvor schrieb die Parteipresse: „Neustadt als die größte und bedeutendste Stadt an der Weinstraße und als Sitz der Gauleitung wird am kommenden Sonntag seine Ausschmückung besonders würdig vornehmen“. Seit dieser Zeit findet sich die Weinstraße auch im Namen der Stadt wieder: aus „Neustadt an der Haardt“ wurde „Neustadt an der Weinstraße“. Am 12. November 1936 erfolgte die offizielle Umbenennung.
Jüdisches Leben verlischt
Stefan Schaupp
Beim Gautag der pfälzischen NSDAP in Neustadt im Juli 1932 äußerte Robert Ley, der später Chef der Deutschen Arbeitsfront werden sollte, dass die Juden die Schuld daran hätten, „daß unser Volk sich hinmorde“. Bald nach der Machtübernahme bekamen dies die Neustadter Juden zu spüren. Schon am 12. März 1933 brachte die Neustadter SA Schilder an jüdischen Geschäften an, auf denen zu lesen stand: „Deutsche, kauft nur in Deutschen (!) Geschäften!“. Der reichsweit angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 führte dazu, dass diese „keinen Zulauf“ hatten, wie die Presse berichtete. Eine Ausstellung im Saalbau im September 1937 mit dem Titel „Volk und Rasse“ griff die Nürnberger Gesetze auf und sah Juden als „Schandfleck rassiger Entwicklung“.
Nachdem ein polnischer Jude in Paris ein tödliches Attentat auf einen deutschen Botschaftsangehörigen verübt hatte, ereignete sich am 9. November 1938 in ganz Deutschland ein antisemitisches Pogrom. Durch erheblichen Alkoholkonsum enthemmt hatten sich am späten Abend dieses Tages in Neustadt rund 25 SS-Männer versammelt. Ein Teil von ihnen zog danach zur in der Ludwigstraße gelegenen Synagoge. Sie zerstörten das Mobiliar und zündeten das Gebäude an, das beim Eintreffen der Feuerwehr weitgehend abgebrannt war.
Der andere Teil der SS-Schergen begab sich zum jüdischen Altersheim in der Karolinenstraße, in dem 83 betagte Menschen lebten. Nachdem sie viele der Bewohner misshandelt und gewaltsam aus dem Gebäude gebracht hatten, legten die Eindringlinge an mehreren Stellen Feuer. Auch hier unternahm die Feuerwehr keine ernsthaften Löschversuche, immerhin rettete sie zwei Frauen aus dem in Flammen stehenden Haus. Zwei weitere Frauen konnten nur noch tot geborgen werden, viele der Bewohner waren schwer verletzt.
Man kann sich den 20. Oktober 1940 auch in Neustadt als gewöhnlichen Tag vorstellen. In der Stadt herrschte das übliche Treiben, auf den Straßen waren viele Leute unterwegs. Haben Sie wahrgenommen, was sich abspielte? Zu sehen gab es genug. Denn an diesem Morgen wurden 23 noch in Neustadt lebende Juden sowie zwölf weitere aus Lachen, Mußbach und Geinsheim in ihren Häusern von Kriminalpolizisten verhaftet und zu einer Sammelstelle nach Ludwigshafen gebracht. Von dort erfolgte die Deportation in das Lager Gurs, einem kleinen Ort am Rande der französischen Pyrenäen. Mitnehmen durften sie nur das Allernotwendigste, dafür mussten sie ihr Vermögen einer „Auffanggesellschaft“ übereignen und die Schlüssel ihrer Wohnungen abgeben. Viele von ihnen starben in Gurs in Folge der unmenschlichen Bedingungen. Die Überlebenden wurden ab August 1942 nach Auschwitz deportiert und fanden dort den Tod. Nur ganz Wenigen gelang es, das Lager Gurs zu verlassen und in die USA zu emigrieren. Auch für die Neustadter Juden gilt der traurige Befund: „Die Überlebenden sind die Ausnahme“.