"Neapolis Casimiriana" - Neustadt zur Zeit Johann Casimirs
Konfessionswechsel
Innerhalb weniger Jahre gab es in der Kurpfalz mehrere Konfessionswechsel. 1554 war die Neustadter Stiftskirchengemeinde evangelisch, bereits zwei Jahre vor dem offiziellen Übertritt der Kurpfalz zum lutherischen Glauben unter Kurfürst Ottheinrich. Ab 1560 führte Kurfürst Friedrich III. in der Pfalz als dem ersten Territorium im Reich das reformierte Bekenntnis ein. Dies orientierte sich an dem Schweizer Reformator Johannes Calvin.
Fürstentum Pfalz-Lautern
Friedrich III. errichtete 1559 für seinen jüngeren Sohn Johann Casimir das linksrheinische Fürstentum Pfalz-Lautern, zu dem auch Neustadt als „Neapolis Casimiriana“ gehörte. Johann Casimirs Heirat mit der lutherischen Elisabeth von Sachsen 1570 sollte die evangelischen Richtungen versöhnen. Später wirkten sich konfessionelle Differenzen auf die Ehe aus. Militärisch setzte sich Johann Casimir 1567 für die Hugenotten in Frankreich und 1578 für die reformierten Niederländer ein.
Reformierte Hochschule Casimirianum
Friedrich III. starb 1576. Ihm folgte sein älterer Sohn Ludwig VI. auf den Thron, ein strenger Lutheraner. Er verbannte die reformierten Professoren aus Heidelberg. Johann Casimir blieb seinem Glauben treu. Er baute 1578 ein ehemaliges Klostergebäude im Stil der Renaissance zur Hochschule um, das nach ihm „Casimirianum“ benannt wurde. Leiter war der erste reformierte Dekan Neustadts, der Hugenotte Daniel Tossanus. Zacharias Ursinus war der bekannteste Professor. Der Drucker Matthäus Harnisch kam ebenfalls aus Heidelberg und verlegte die „Neustadter Bibel“. Nach Ludwigs Tod endete 1583 die Zeit der Neustadter Hochschule. Johann Casimir übernahm für dessen noch unmündigen Sohn Friedrich IV. die Regentschaft. Als „Administrator der Kurpfalz“ residierte er nun in Heidelberg.
> Das Ausstellungsexponat ist das Gebetbuch von Elisabeth von Sachsen und Johann Casimir.
Casimirianum und seine Professoren
Michael Landgraf
Einen ehemals gotischen Klosterbau mit Kapelle (Vorbau) ließ Pfalzgraf Johann Casimir 1578 im Stil der Renaissance zur reformierten Hochschule umbauen. Am repräsentative Treppenhaus (Wendelstein) ist der Nachguss einer Widmungstafel mit kurpfälzischem Wappen angebracht. Über der Sandsteintür, datiert auf das Jahr 1579, steht der lateinischen Wahlspruch der Hochschule DEO ET MUSIS SACRUM, übersetzt: „Gott und den Künsten bzw. den Wissenschaften geweiht.“
Gelehrt wurde Theologie, Medizin, Jura und Sprachen. Aus reformierten Territorien im Reich sowie aus den Niederlanden, Schottland und Ungarn kamen Studenten hierher. Leiter war der Neustadter Superintendent (Dekan) Daniel Tossanus.
Berühmtester Professor war der Reformator Zacharias Ursinus (1534-1583). In Breslau aufgewachsen, studierte er in Wittenberg bei Philipp Melanchthon und in Genf bei Johannes Calvin. Als reformierter Theologe kam er an den Hof Kurfürst Friedrich III. und schuf 1563 als Hauptautor den Heidelberger Katechismus. Er wechselte mit den anderen Professoren nach dem Tod Friedrichs III. ans Casimirianum und hielt Vorlesungen über die Bibel sowie über seinen Katechismus. Als Lutheraner sich 1577 zusammenschlossen, rief er zur Einheit der Protestanten auf. Ursinus wurde 1583 in der Neustadter Stiftskirche beigesetzt. Sein Katechismus wurde auf der Synode von Dordrecht 1619 Glaubensgrundlage reformierter Kirchen.
Wichtig für die Demokratiegeschichte der Stadt ist Franz Junius, der Ältere (1545-1602). Er vermittelte hier die frühe Form einer demokratischen Gemeindeordnung, das „presbyterial-synodale System.“ Demnach leitet das gewählte Presbyterium (Ältestenrat) die Geschicke der Gemeinde. Dieses System entwickelte er später als Professor an der ersten niederländischen Universität in Leiden weiter fort. Der aus Oberitalien stammende Hieronymus Zanchi (1516-1590) lehrte Hebräisch und Altes Testament.
Johann Piscator (1546-1625) begann hier eine urtextnahe Bibelübersetzung, die er ab 1602 als Professor in Herborn veröffentlichte. Simon Stenius, Lambert Ludolph Pitopäus sowie Hermann Witekind lehrten Philosophie und Henricus Smetius Medizin. Bedeutend ist auch das am Casimirianum entstandene erste Arabisch-Wörterbuch, das Alphabetum arabicum von Jacob Christmann (1554-1613).
Nach dem Tod Ludwigs VI. im Jahr 1583 endete die Zeit der Hochschule. 1585 bis 1880 war das Gebäude die Lateinschule und Gymnasium der Stadt. Heute gehört es der protestantischen Kirchengemeinde und wird als Gemeindehaus sowie für Kulturveranstaltungen genutzt.
Erste Rebsortenverordnung 1584 und der Gänsfüsser-Wein
Michael Landgraf und Fritz Schumann
Am 15. Juli 1584 initiierte Pfalzgraf Johann Casimir in Neustadt die erste Rebsortenverordnung der Welt. Seinen „lieben und getreuen“ Neustadtern ordnete er an, dass „die Weinberge des Edel Gänsfüssel nicht ausgehauen werden dürfen.“ Sollte dies doch wegen Überalterung der Fläche erforderlich sein, dann muss wenigstens die gleiche Fläche wieder neu gepflanzt werden. Diese Rebsortenverordnung ist mit Abstand die älteste, denn die nächsten erschienen erst im 18. Jahrhundert. Sie enthält die Begründung: „Weiln denn solch Genßfüssergewechs beinahe an keinem Ort deutschen Lands als zu Neustatt und in der nähe daselbst herum gepflanzt und ob sie schon bisweilen an anderen Ort gepflanzt, doch so lieblich und gut als zu Neustatt nicht werden."
Johann Casimir liebte den Gänsfüsser-Wein. Der Gänsfüsser, der auch Blauer Gänsfüsser, Argant und Erlenbacher genannt wurde, war eine starkwüchsige Rebsorte, die in der Pfalz rund um Neustadt, Haßloch, Deidesheim und Edenkoben, an der Bergstraße, in Württemberg, in der Steiermark und in Südtirol verbreitet war. Der Name leitet sich von den Blättern ab, die fünflappig gebuchtet dem Fuß einer Gans ähnlich waren. Die Beeren wirken dunkel und glänzend, der Wein selbst galt damals als bekömmlich. So wird er in Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts mit Gesundheit verbunden. Je nach Jahrgang brachte die Sorte Weine von unterschiedlicher Güte hervor. Der Rotwein musste aufwändig lange im Holzfass gelagert werden, was von Winzern teils als Nachteil angesehen wurde. Der hohe Tannin-Gehalt sicherte allerdings den Weinen eine lange Haltbarkeit, was heißt, dass der Gänsfüsser die Lagerung besser und länger ohne Qualitätsverlust überstand.
Rund 200 Jahre nach Johann Casimir berichtet der Gimmeldinger Gerichtsschreiber Philipp Jakob Breuchel, „weil er (Gänsfüsser) nicht jung trinkbar ist, so wird nicht mehr darauf geachtet, und werden solche Stöcke nicht fortgepflanzt; zu Neustadt ist noch ein einziger Wingert davon.“ Laut Stadtchronik war dieser Weinberg am Kapellenberg bei Gimmeldingen. Wie Breuchel schreibt, war bei den engen Standweiten der Reben im Weinberg der Anbau des starkwüchsigen Gänsfüssers mit Problemen verbunden. Er berichtet weiterhin von einer einzigen Rebe, die drei Rheinische Ohm Wein brachte. Dies entspricht etwa dem Jahresverbrauch des Hausherrn, was bedeutet, dass die einzelne Rebe als äußerst ertragreich galt.
Leider erwies sich die Sorte im Weinberg gegenüber den im 19. Jahrhundert aus Amerika eingeschleppten Krankheiten echter Mehltau (Oidium) und falscher Mehltau (Peronospora) als hochempfindlich. Daher wird heute bei einer Anpflanzung ein intensiver Pflanzenschutz empfohlen.
Heute wird der Gänsfüsser durch das Dienstleitungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz in Neustadt-Mußbach sowie in Haßloch durch das Weingut Braun (Meckenheim) wieder angepflanzt und angeboten. Beliebt war und ist bis heute der Gänsfüsser als Hausrebe, denn seine tiefen Wurzeln können das Fundament und feuchte Keller trocken halten. Daher umranken Gänsfüsser-Reben Häuser und überdecken Straßen und Höfe.
Bilder erzählen Geschichte: Der Einritt von Kurfürst Friedrich IV. in Neustadt 1598 und die Einnahme von Neustadt durch Pfalzgraf Johann Casimir 1577
Gerhard Hofmann
Die älteste druckgrafische Darstellung mit einer Gesamtansicht von Neustadt erschien 1599 in der Schrift Historicae Relationis Continuatio, einer Art Nachrichtenmagazin mit der Beschreibung denkwürdiger Ereignisse aus aller Welt. Die Textzeile am unteren Bildrand beschreibt das auf der Radierung dargestellte Ereignis. Der Kurfürst Friedrich IV. ist mit seinem Gefolge durch die zwei im Westen gelegenen Tore in die Stadt eingezogen, der Zug wird von Soldaten begleitet und führt an der Stiftskirche vorbei zum Rathaus, wo der Kurfürst von einer Neustadter Delegation begrüßt wird. Die Darstellung der Stadt kann keine Genauigkeit beanspruchen. Friedrich IV. von der Pfalz (1574-1610) war neun Jahre alt, als er 1583 die Nachfolge seines Vaters Kurfürst Ludwig VI. von der Pfalz antrat. Sein Onkel, der reformierte Pfalzgraf Johann Casimir, übernahm die Vormundschaft für Friedrich IV. und die Regentschaft in der Kurpfalz. Johann Casimir starb 1592.
21 Jahre vor dem friedlichen Einritt Friedrich IV. nach Neustadt hatte Johann Casimir die Stadt eingenommen. 1576 war in Heidelberg Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz verstorben. Friedrichs ältester Sohn Ludwig war Lutheraner, im Gegensatz zu seinem Bruder Johann Casimir, der die reformierte Religion des Vaters vertrat. Der neue Kurfürst Ludwig IV. stellte das Luthertum in Heidelberg und in den rechtsrheinischen Gebieten wieder her. Johann Casimir bestand auf der Übernahme der Ämter Kaiserslautern und Neustadt. Neustadt wurde zum Zankapfel, denn der Status der Stadt als unveräußerlicher Teil der Kurpfalz war infrage gestellt. Die Neustadter wollten Teil der Kurpfalz bleiben und weigerten sich, den Pfalzgrafen Johann Casimir als neuen Herrn anzuerkennen. Dieser besetzte daraufhin in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1577 die Stadt. Dieses Ereignis ist auf dem farbigen Blatt wiedergegeben. In einer endlosen Reihe sehen wir die Truppen Johann Casimirs in die Stadt einmarschieren.
Hartnäckig wird das Blatt mit der Einnahme von Neustadt in der Literatur als kolorierter Holzschnitt bezeichnet. Das ist in zweierlei Hinsicht falsch. Es handelt es sich nicht um einen Holzschnitt, sondern um eine Radierung. Es ist ein Abzug der Radierung aus dem Jahre 1599 mit dem Einritt Friedrichs IV. nach Neustadt. Dieser wurde nicht nur koloriert, sondern durch Übermalung auch in wesentlichen Teilen so verändert, dass aus dem friedlichen Einritt Friedrich IV. die gewaltsame Einnahme der Stadt durch Pfalzgraf Johann Casimir wurde. Die aus dem Tal heranziehende Reihe der Soldaten wurde nachträglich mit feinen Pinselstrichen in die Radierung hineingemalt. Die Szenerie innerhalb der Stadtmauern mit dem Empfang des Kurfürsten wurde mit deckender weißer Farbe fast vollständig übermalt. Dort, wo der Wagen mit dem Geleitzug des Kurfürsten durch das Stadttor einfährt, strömen bei der übermalten Version die Truppen Johann Casimirs in die Stadt. Durch die Umarbeitung wird eine ganz andere Geschichte erzählt.
Das Blatt ist Teil der als Thesaurus Picturarum bezeichneten Bildbände, die der reformierte Heidelberger Kirchenrat Dr. Marcus zum Lamm (1544-1606) für Kurfürst Friedrich IV. anlegen ließ.
Neustadt unter Friedrich III. und Johann Casimir
Michael Landgraf
Neustadt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war eine bedeutende Oberamtsstadt, mit einem Stadtschreiber als städtischen und einem Landschreiber als fürstlichen Verwaltungsbeamten.
Im September 1554 wurde mit Jörg Schoner (oder Schöner) ein evangelischer „Pfarrer und Prädikant“ eingesetzt, laut zweier Verträge mit Kurfürst Friedrich II. auf „untertänigstes fleißiges Ansuchen der Gemeinde“. Diese Predigtstelle wurde bei der Neuordnung des Kollegiatstifts 1468 errichtet und vom Kurfürsten verliehen. Die Stiftskirche wurde der reformierten Gemeinde übergeben und das Kollegiatstift sukzessive durch Kurfürst Friedrich III. aufgelöst. Der letzte Dekan des Stifts, Laurentius Kercher, starb 1561. Allerdings lebten 1582 noch Versorgungsempfänger des Stifts, was Johann Casimir mit Verbitterung im Blick auf die Kosten anmerkte.
TiBilder, Statuen, Reliquien, Altäre, Taufbecken und Kerzen wurden, wie die liturgischen Geräte, aus der Stiftskirche entfernt. Die kurpfälzische Kirchen- und Schulordnung von 1563 sah Schulbildung für alle Landeskinder sowie mehr Mitspracherecht für Gemeindeglieder vor. Daher wurde das Schulwesen in Neustadt ausgebaut. 1568 setzte man ein Presbyterium als Kirchengemeinderat ein, dem neben dem Pfarrer auch der Stiftsschaffner Bernhard Meister und Junker Hans von Flörsheim von der Burg Winzingen angehörte. Ein Konsistorium, das über die kirchliche Ordnung und das bürgerliche Leben der Stadt wachte, trat seit 1570 wöchentlich zusammen und war zusammengesetzt aus dem Superintendenten (Dekan), dem Pfarrer und dem Diakon, einem Vertreter der Schule, zwei Ratsmitgliedern und vier Personen aus der Bürgerschaft. Für Jugendliche und Erwachsene gab es Katechismusunterweisung im „Pfälzer Katechismus“, der erst im 19. Jahrhundert in „Heidelberger Katechismus“ umbenannt wurde. Dessen Kenntnis galt zeitweise als Kriterium für die Aufnahme als Bürger.
Prägend war in dieser Zeit Daniel Tossanus (Toussaint), der 1577–1584 erster reformierter Superintendent (Dekan) von Neustadt war. Der aus Frankreich stammende Pfarrer war reformierter Hugenotte, kam als Flüchtling an den Heidelberger Hof und war unter Kurfürst Friedrich III. Hofprediger. Johann Casimir holte ihn nach Neustadt, von wo aus er auch die französischsprachige Gemeinde der Wallonen in Lambrecht versorgte. Er leitete die Hochschule Casimirianum und kehrte 1586 an die Heidelberger Fakultät zurück, wo er Professor und schließlich Rektor der Universität wurde.
Matthäus Harnisch und die Neustadter Bibel
Michael Landgraf
Der Druckerverleger Matthäus Harnisch wurde mit Vornamen auch Matthis oder Matheus und mit Nachnamen latinisiert Harnisius genannt. Geboren wurde er 1535 in der Region Leipzig, er starb 1596 in Neustadt. In den 1560er Jahren ließ er sich in Heidelberg nieder, wo er Anna Wigand ehelichte. Das Paar hatte zwei Söhne, Josua und Wilhelm, und zwei Töchter. Bruder seiner Frau war der Druckerverleger Johann Meyer, dessen Mitarbeiter und Partner Harnisch wurde. Bei Meyer erschien 1563 der „Pfälzer Katechismus“, der später „Heidelberger Katechismus“ genannt wurde, sowie 1569 eine Bibelausgabe.
Harnisch lernte das Buchbinderhandwerk und firmierte als Buchhändler auf Messen, aber auch als Weinhändler. 1571 wurde Harnisch ein eigenes Wappen verliehen und er erhielt ein Privileg des Kurfürsten, dass er auch linksrheinisch Bücher verkaufen durfte. Ab 1573 war er in Frankfurt und Leipzig bei den Buchmessen mit einem umfangreichen Katalog an theologischen, philosophischen, juristischen, medizinischen, historischen, poetischen, sprachlichen und musikalischen Büchern vertreten.
Nach dem Tod Friedrich III. 1576 zogen Meyer und Harnisch nach Neustadt. Meyers starb 1579, Harnisch wurde nun auch Buchdrucker und erwarb ein Haus, „am Markt gelegen“. 1583 starben Kurfürst Ludwig VI. sowie Harnischs Frau Anna, während er auf der Frankfurter Buchmesse war. 1584 heiratete Harnisch Anna Klemm und errichtete 1586 ein neues Haus mit Druckerei und Buchhandlung, vermutlich in der Landschreibereistraße 1, so Lutz Frisch.
Nach der sukzessiven Verlegung der Hochschule zurück nach Heidelberg blieb Harnisch Neustadt treu und verlegte bis zu seinem Tod 1596 seine Bücher selbst. Nur kurz führten seine Söhne die Druckerei weiter, Wilhelm starb 1597, Josua wurde vom Konsistorium der Stadt wegen Trunksucht ermahnt. Bekannt sind über 330 Bücher die mit Harnischs Namen verbunden sind. Seine Druckermarke (Signet) zeigt ein Füllhorn verbunden mit dem hebräischen Gottesnamen und dem Spruch „ditat servata fides“, übersetzt: „den Glauben bewahren macht reich.“
Die erste Neustadter Bibel erschien 1579. Harnisch nutzte dafür Luthers Bibelübersetzung, doch übernahm er nicht dessen Anmerkungen und Vorworte. Gemäß der reformierten Lehre wurden auch keine Bilder im Text aufgenommen, die die Geschichten visualisierten. Nur im Vorwort und an wenigen Stellen im Text ergänzte der Verleger sachkundliche Grafiken und Landkarten. Durch diese erste deutsche Ausgabe, die eine Verszählung enthielt, konnten Laien schneller überprüfen, ob Aussagen von Theologen auf der Bibel basieren. Dies war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung des Glaubens und der Kirche insgesamt. Diese Ausgabe ist damit auch Vorbild moderner, unbebildeter Bibeln.
1588-1589 erschien dann eine von David Pareus (1548-1622) kommentierte Ausgabe, die im engeren Sinne als „Neustadter Bibel“ verstanden wird (Traudel Himmighöfer). Pareus, ein Schüler von Zacharias Ursinus, war 1580-1584 Pfarrer in Winzingen und später Professor am Heidelberger Sapienzkolleg. Lutheraner beschimpften diese Bibelausgabe aufgrund der reformierten Kommentierungen des Luthertextes sowie aufgrund der Übersetzungskorrekturen durch Pareus als „Erzbubenstück“ und „mit des Teufels Kot beschmeißte Biblia“, die eine „calvinische verdammte Ketzerei“ sei und „gräuliche erschreckende Irrtümer“ enthielt. Neuauflagen erschienen 1591, großformatige Folio-Ausgaben 1594, 1596 und als Nachdruck 1613 in Hanau und Frankfurt. Ab 1594 sind in manchen Ausgaben die Psalmgesänge Ambrosius Lobwassers und der Heidelberger Katechismus bei gebunden.
Konfessionen im 16. Jahrhundert in Neustadt
Michael Landgraf
Die „Hohe Schul“, also die Universität der kurpfälzischen Hauptstadt Heidelberg, war eine der wichtigsten theologischen Ausbildungsstätten Deutschlands. Seit dem 15. Jahrhundert stand das Neustadter Stift und dessen Schule in enger Verbindung zu ihr.
1518 kam Martin Luther zu einer Disputation über seine Lehre an der Heidelberger Universität, wodurch die Reformation in der Region bekannt wurde. 1523 soll in Neustadt „ein Pfaff ein Jungfrau zur Kirch“ geführt, also geehelicht haben. Ebenfalls wurde der Priester Heinrich Stoll ausgewiesen, weil er in Worms „evangelisch gepredigt“ habe. Doch während in Landau, Worms und später in Speyer die Reformation eingeführt wurde, verhielt sich Kurfürste Ludwig V. (1478-1544) vermittelnd. Er trat für Reformen ein, blieb jedoch seinem alten Glauben treu, der damals noch nicht „katholisch“ genannt wurde. So hatte er eine Vermittlerrolle auf Reichstagen, was ihm den Beinamen „der Friedfertige“ einbrachte.
In Neustadt drückte 1545 der Stadtrat seine Unzufriedenheit mit dem Lebenswandel eines Geistlichen aus, der eine „Magd mit einem Kind“ bei sich hatte und der „nicht angenehm in der leer“ sei, doch wurde bereits 1546 in der Heidelberger Heiliggeistkirche unter dem auf der Burg Winzingen geborenen Kurfürsten Friedrich II. das evangelische Abendmahl gefeiert. 1554 wurde mit der Übernahme von Jörg Schoner (oder Schöner) als „Pfarrer und Prädikant“ die Reformation in Neustadt eingeführt, zwei Jahre vor dem Rest der Kurpfalz.
Die konfessionelle Prägung in der Zeit zwischen 1554 und 1560 unter den Kurfürsten Friedrich II. und Ottheinrich war gemäßigt lutherisch, orientiert an dem aus der Kurpfalz stammenden Theologen Philipp Melanchthon. Lutheraner lassen Bilder in Kirchen und Bibelausgaben zu. Sie haben eine umfangreiche Liturgie mit einer Liedtradition, die an Martin Luther anknüpft. Beim Abendmahl glauben Lutheraner, dass Jesus „anwesend“ sei, allerdings lehnen sie die katholische Transsubstantiation, also die „Wesensverwandlung“ von Brot und Wein durch einen Priester ab.
Ab der Amtsübernahme von Kurfürst Friedrich III. um 1560 orientierte sich die Kurpfalz an der Lehre des Genfer Reformators Johannes Calvin. Mit dem „Heidelberger Katechismus“ von 1563, dessen Hauptverfasser Zacharias Ursinus war, ging man aber einen gemäßigten Sonderweg, der „reformiert“ genannt wurde. Die Reformierten konzentrierten sich auf die Bibel und das gepredigte Wort. Daher waren Wandmalereien und Schmuck in Kirchen unerwünscht. Der Altar wurde durch einen Abendmahlstisch ersetzt, auf dem allein die der Gemeinde zugewandte aufgeschlagene Bibel lag. Abendmahl gab es nur vier Mal im Jahr, die Liturgie war auf das Wesentliche beschränkt und gesungen wurden nur die 150 Psalmen der Bibel, die mit einer Melodie unterlegt waren.