6. April 1275 – "Nova Civitas" erhält das Königsprivileg
„Planstadt“ auf Winzinger Gemarkung
Die „Neue Stadt“ wurde um 1220/1230 in die Gemarkung Winzingen planmäßig hineingebaut: Durch zwei sich kreuzende Straßen entstanden vier Stadtviertel, hinzu kamen die vorhandenen zwei Vorstadtviertel. Schutz gewährte die mit Türmen und Toren (Hambacher Tor und Stadttor) versehene Stadtmauer, die etwa das Areal der heutigen Altstadt umfasste.
Erstnennung im Jahr 1246
Das Siegel bezeugt die Rechtsfähigkeit der Stadt. Die Bürger der „Neuen Stadt“ führten ihr eigenes Siegel, das die Symbole des Pfalzgrafen zeigt, aber die eigene Umschrift der Bürger trägt. Auf dem ältesten Stadtsiegel aus dem Jahr 1256 sind der pfälzische Löwe und die bayerischen Rauten der Wittelsbacher abgebildet. Es hat die Umschrift SIGILLUM BURGENSIUM NOVE CIVITATIS – „Siegel der Bürger von Neustadt“.
Die Verleihung Speyerer Rechts am 6. April 1275
Früh erkannte König Rudolf I. von Habsburg das Potenzial der Städte. Er verlieh den Bürgern Neustadts die gleichen Rechte und Freiheiten, die auch die Bürger Speyers besaßen. Die Stadt wurde befähigt, einen eigenen Rat und Gerichtsschöffen zu wählen und eigenes Recht zu setzen. Das Privileg bestätigten die nachfolgenden Könige und Kaiser bis zum Jahr 1618 immer wieder.
+++++++++ Das Ausstellungsexponat ist die Stadtrechtsurkunde mit Siegel von 1275 ++++++++++
Die Ersterwähnung 1246
Pirmin Spieß
Die Ersterwähnung der Stadt Neustadt erfolgt in einer Papsturkunde mit der Datumszeile 3. Februar 1245. Aufgrund der neuesten Forschung von Bernd Schneidmüller ist indes der 3. Februar 1246 gemeint. In der Urkunde bestätigt Papst Innozenz IV. dem Kloster St. Lambrecht umfangreichen Besitz u.a. von Gütern in Neustadt. In 21 Jahren kann die Stadt Neustadt ihr 800-jähriges Jubiläum der Erstnennung feiern. Die Stadtgeschichte verläuft wie in einem Zeitraffer: in 21 Jahren bewältigt sie mit Meilenstiefeln 50 Jahre!
Im Einzelnen: die Papsturkunde aus der päpstlichen Kanzlei, nennt als Ausstellungsdatum ausdrücklich das Jahr 1245, in lateinischen Buchstaben MCCXLV. Das Tagesdatum kann mit 3. Februar aufgelöst werden. Für die päpstliche Kanzlei begann das Jahr 1245 im März 1245 und endete im März 1246. Der 3. Februar gehört damit zwingend ins Jahr 1246.
Dazu weist die Papsturkunde aber zwei weitere Datierungselemente auf: das Amtsjahr des Papstes Innozenz IV. und die Zahl 4 für das alte römische Steuerjahr, die sog. Indiktion:
Innozenz IV. ist am 28. Juni 1243 zum Papst gewählt worden, so dass sein 3. Amtsjahr im Juni 1245 beginnt und im Juni 1246 endet. Der 3. Februar in diesem Amtsjahr fällt demnach ins Jahr 1246. Auch die 4. Indiktion weist eindeutig ins Jahr 1246.
Die Menschen des 13. Jh. ließen das Jahr nicht am 1. Januar beginnen, sondern vorzüglich mit dem Tag der Geburt Jesu Christi, also dem 25. Dezember. Demgegenüber aber benutzte die Papstkanzlei als Jahresbeginn das Datum der biblischen Verkündigung des Engels an Maria, dass sie einen Sohn gebären würde. Das Leben Jesus begann danach nicht mir seiner Geburt, sondern mit seiner spirituellen Zeugung unter dem Herzen der Jungfrau am 25. März - im 6. Monat tritt die Seele hinzu. Der Jahresanfang wurde demnach 9 Monate früher als heute gelegt.
Das Siegel der Bürger von Neustadt
Pirmin Spieß
Das älteste bekannte Stadtsiegel datiert aus dem Jahr 1256 – es hängt an einer Urkunde des Klosters St. Lambrecht neben dem Siegel der Priorin Sapientia. Das Siegel ist leicht beschädigt. Vollständig erscheint es an Urkunden im Jahr 1274 und später 1285. Die Urkunde vom 28. Dezember 1274 liegt im Landeshauptarchiv Koblenz und zeigt heraldisch links die wittelsbachischen Rauten, rechts den aufsteigenden pfälzischen Löwen mit gefiedertem Schweif, Rankenwerk füllt das Feld um den Schild.
Legende: SIGILLUM . BURGNSIUM . NOVE . CIVITATIS
Die Bürger der Stadt werden unterschiedlich bezeichnet, als "burgenses" (abgeleitet von burgus, Burgbezirk), "oppidani" (vom keltischen oppidum, befestigter Platz) oder "cives" (lateinisch „Bürger“), Namensgeber für "civitas". Geben die ersten beiden Begriffe nur die Summe der Bürger wieder, so zeigt "civitas" die Körperschaft an sich, die Gesamtheit der Bürger als Subjekt, die juristische Person, an. Die juristische Person ist rechtsfähig und selbstständiger Träger von Rechten und Pflichten.
Die Urkunde von 1274, bei der es sich um eine Grundstücksstreitigkeit in Metternich bei Koblenz handelt, – zeitlich zwischen der Königswahl Rudolfs und dem Privileg für Neustadt – hat folgende Besonderheit:
Sie nennt im Text ("corroboratio") neben anderen den Pfalzgrafen bei Rhein als Siegler. Sein Siegel fehlt aber überraschenderweise bei den anhängenden Siegeln! An seine Stelle tritt das städtische Siegel (großes Stadtsiegel).
Über den Grund des fehlenden Pfalzgrafensiegels kann nur spekuliert werden. Vielleicht hatte der Pfalzgraf das einige Monate später erfolgende Stadtrechtsprivileg im Auge. Daher trat er zurück und die Stadt trat an seine Stelle. Damit wird der Eindruck erweckt, Neustadt sei eine Freistadt ohne Stadtherrn. Der Pfalzgraf erwartete wohl den auszuhandelnden Text des Königsdiploms am 6. April 1275.
Stadtluft macht frei
Pirmin Spieß
Stadtluft macht frei – die Empfänger der Königsurkunde, des Königsprivilegs der Stadt Neustadt, waren die Bürger – mehrmals werden "cives" (Bürger) und die Gesamtheit der städtischen Gemeinschaft "civitas" (Bürgerschaft) genannt und die Genossenschaft kennzeichnet die „Novam Civitatem“, die „neue Schwurgemeinschaft“, beziehungsweise die „neue Stadt“.
Die „Nova Civitas“ wurde in die Winzinger Gemarkung hineingebaut. Siedlungen anderer politischer Kräfte des Raumes südlich, westlich und nördlich der Stadt waren vorhanden, doch sie sind "terra incognita" und bislang unerforscht. Der Einflussbereich des Bischofs von Speyer reichte vom Hambacher Schloss bis vermutlich zum Speyerbach (Marientraut). Das Tal wurde von der Reichsburg Wolfsburg beherrscht. Die Burg Winzingen kam im Einflussbereich der Leininger, vor allem der Pfalzgrafschaft, zu liegen. Das Ritterhaus könnte von Ministerialen (der Herzöge von Zweibrücken?) dominiert worden sein.
"Bürger und Bauer“ trennt nichts als die Mauer sagt ein Rechtssprichwort. Dahinter steckt aber mehr: der Bürger hat gerade auf dem Weg von der Unfreiheit zur Freiheit die Eierschalen der Unfreiheit abgestreift. Der Satz "Stadtluft mach frei" lässt die Abhängigkeitsmerkmale hinter sich:
der Grundherrlichkeit,
der Leibeigenschaft,
der gerichtlichen Abhängigkeit.
"Stadt" bedeutet Aufstieg, freie Luft zum Atmen! Die Abhängigkeiten konnten vielfältig sein und bestanden im:
Erbringen von Diensten (Frondienste), diese konnten unbemessen sein oder "bemessen", begrenzt, nur zur Erntezeit oder Aussaatzeit,
Zahlung eines jährlichen Geldzinses (Männer waren "mehr wert" und daher höher belastet,
Wachszinspflichtigkeit,
Heiratsbeschränkungen - der Konsens des Herrn war nötig,
Schollengebundenheit,
Freizügigkeit,
erbrechtliche Einschränkungen: Abgabe des "Besthaupt", des besten Stück Vieh und des "Buteil", des besten Kleides.
Der König hat den Aufstieg der Städte erfasst und anerkannt (Ratsverfassung). Die Bürger waren durch den Bürgereid miteinander verbunden, wählten jährlich ihre beiden Bürgermeister, am 11. November (St. Martin) und kurz danach sechs Viertelmeister am 18. November (St. Elisabeth).
Beendigung des Interregnums
Pirmin Spieß
Nach den Saliern und den Staufern setzte im Heiligen Römischen Reich im 13. Jahrhundert eine politische Neuorientierung ein. Unter den letzten Staufern begann bereits die Territorialisierung und föderalistische Entwicklung im Reich mit den Reichsgesetzen. Auf Grund der beiden Fürstengesetze "confoederatio cum principibus ecclesiasticis" vom 26. April 1220 und dem "statutum in favorem principum" (ausgestellt am Hoftag in Worms vom 1. Mai 1231) war das 13. Jahrhundert im Umbruch. Den geistlichen und weltlichen Fürsten wurden erhebliche Kompetenzen (Regalien) zugestanden, wie der Verzicht des Kaisers auf die Errichtung von Münz- und Zollstätten, die Erbauung von Burgen und Städten, Dienstmannen zu entfremden und Spolien einzuziehen, Beachtung der Urteile der fürstlichen Gerichte sowie Hilfe bei der Vollstreckung derer Urteile. Es fand, kurzgefasst, ein Auftrieb von unten nach oben statt.
Kaiser Friedrich II. starb im Jahre 1250. Das anschließende Interregnum (1250-1273), die „kaiserlose, die schreckliche Zeit“ (Friedrich Schiller) mit den Königen
Henrich Raspe
Wilhelm von Holland
Alfons von Kastilien
Richard von Cornwall
endete mit der Wahl Rudolfs von Habsburg 1273 zum König. Rudolf versuchte, verlorenes Reichsgut zurückzugewinnen – er erkannte die Schubkraft der Städte. Die Grundsätze der Einsetzung des Reichsoberhauptes wurden mit dem Wahlort (Frankfurt) und dem Krönungsort (Aachen) bei Rudolf eingehalten und in der Goldenen Bulle 1356 festgeschrieben. In der Folgezeit bis 1806 stellen drei Dynastien das Reichsoberhaupt:
Habsburg
Luxemburg
Wittelsbach
Rudolf von Habsburg
Pirmin Spieß
Rudolf von Habsburg (1273-1291) war ein armer Graf, der sich nach seiner Burg benannte: Habsburg – die Burg liegt im Aargau/Schweiz. Sieben Kurfürsten bildeten die Königswähler und wählten am 1. Oktober 1273 Rudolf in Frankfurt einmütig zum Reichsoberhaupt: die drei rheinischen Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen.
Am 24. Oktober krönte der Kölner Erzbischof Engelbert II. von Falkenburg Rudolf zusammen mit seiner ersten Frau Getrud von Hohenberg wie herkömmlich in Aachen zum König.
Rudolfs Landfriedenbemühungen, der Kampf mit Ottokar von Böhmen, insbesondere aber die Rückgewinnung (Revindikation) entfremdeten Reichsgutes, charakterisieren seine Regierungspolitik. Früh erkannte er dabei die Virulenz der Städte als neue politische Kraft. Als erster König nahm er ein Darlehen bei einem Bürger auf. Kaum eine Stadt unserer Region gibt es, die er nicht mit Stadtrecht begabt hat.
Allein 3 Dynastien bestimmen von 1273 bis 1806 die deutsche Politik: die Familie der Habsburger, die Familie der Luxemburger und die Familie der Wittelsbacher.
Eine feste Residenz bildet sich später erst mit Wien heraus. Davor zog der König/Kaiser mit seinem Tross aus Bediensteten, Amtsinhabern und Kanzlei von Ort zu Ort, von Zeltlager zu Zeltlager. Am 6. April 1275 „residiert“ er bei Weißenburg. Eine vergleichbare Urkunde ist ausgestellt "in campo Weißenburg", im Feldlager bei Weißenburg. Weißenburg selbst und Hagenau privilegiert Rudolf am 12. April 1275 in Hagenau.
Rudolf war zweimal verheiratet: Mit Gertrud von Hohenberg (1225-1281) – aus dieser Ehe gingen 6 Töchter und 4 Söhne hervor, in zweiter Ehe mit Isabella von Burgund (*um 1270-um 1323) (Königin 1284-1291), auch Elisabeth oder Agnes genannt.
Die politischen Verbindungen im 13. Jahrhundert waren mehr verwandtschaftlich bezogen und begründet. Bereits am Krönungstag in Aachen veranstaltete der König eine Doppelhochzeit. Seine etwa 20jährige Tochter Mathilde (um 1254-1304) wurde mit dem Pfalzgrafen bei Rhein und Herzog von Oberbayern, Ludwig II., vermählt – einem seiner wichtigsten Wähler. Katharina (*um 1256-1282) heiratete um 1279 Herzog Otto von Niederbayern, den späteren König von Ungarn. Seine Tochter Agnes (vordem Gertrud) (1267-1322) schloss die Ehe mit Herzog Albrecht II. von Sachsen.
Sämtliche Königswähler wurden seine Schwiegersöhne. Hedwig (*1260-1303) heiratete den Askanier Otto VI.: Markgräfin von Brandenburg, Clementia (*1262-1293) war mit Karl Martell verheiratet, dem Titularkönig von Ungarn. Guda (1271-1297) wurde mit Wenzel II., dem Nachfolger des böhmischen Königs Ottokar, verehelicht. Die 4 Königssöhne waren Albrecht I. (*1255) (König 1298-1308), Hartmann (*vielleicht um 1263-1281), Rudolf II. (*1270-1290) und Karl (*/+1276).
Mit 73 Jahren, im Frühsommer 1291, verschlechterte sich des Königs Gesundheitszustand – er litt an Gicht (Hände) und Arthrose im Bereich der Hüftgelenke. In Vorahnung seines Todes verabschiedete er sich von den Bürgern Straßburgs, zog im Juni über Hagenau nach Germersheim, von dort mit einer kleinen Schar nach Speyer, „wo mehr meiner Vorfahren sind, die auch Könige waren“ und starb am Tag nach seiner Ankunft am 15. Juli 1291.
Ein populärer König soll Rudolf gewesen sein, was die folgende Anekdote belegt: Als sich ein Mann bei ihm beschwerte, er könne wegen der langen Nase des Königs nicht an diesem vorbeigehen, habe Rudolf lachend seine Adlernase mit der Hand auf die andere Seite gedrückt und den Witzbold aufgefordert, nun vorbeizugehen!
Ludwig II. (*1229) (1253 - 1294)
Pirmin Spieß
In der ersten bayerischen Landesteilung vom 28. März 1255 wurden das Herzogtum Bayern und die Pfalzgrafschaft bei Rhein unter dem beiden Söhnen Herzog Otto II. (1206-1253) aufgeteilt. Die Primogenitur, die übliche Erbfolge, wurde nicht geübt, das Herzogtum wie ein Bauernhof geteilt. Ludwig II. erhielt das Herzogtum Oberbayern und die Pfalzgrafschaft, Heinrich XIII. (*1235) (1253–1290) das Herzogtum Niederbayern. Die beiden bayerischen Herzogtümer wurden 1340 unter Ludwigs Sohn, dem römisch-deutschen Kaiser Ludwig IV., wiedervereinigt – die Pfalzgrafschaft bei Rhein 1329 verselbständigt. Ludwig II. residierte in München und vereinzelt in Heidelberg, Heinrich wählte Landshut als Residenzstadt.
Im Rückblick wurde Otto I. (*um 1117-1183) im Jahr 1180 von Kaiser Barbarossa als Dank für Hilfe in der Schlacht (Veroneser Klause) mit dem Herzogtum Bayern belehnt. Am 14. Oktober 1214 erwarben die Wittelsbacher die Pfalzgrafschaft mit dem Zentrum Heidelberg – die Verbindung sollte bis 1918 halten.
München wurde unter seiner Herrschaft – er war der ältere – erstmals Residenzstadt, weil Ludwig im „Alten Hof“ regierte. Von da aus besuchte er bisweilen Heidelberg.
Seine erste Ehefrau Maria von Brabant ließ er 1256 hinrichten, weil er sie fälschlicherweise des Ehebruchs verdächtigte. Ursache war ein verwechselter Brief, den der Ritter Raugraf Raugraf Heinich I. († 1261), dem Bruder des Wormser Bischofs Eberhard I. aushändigte. Als Sühne stiftete Ludwig – wegen der Hinrichtung seiner Ehefrau „der Strenge“ genannt - das Kloster Fürstenfeld bei Fürstenfeldbruck.
In zweiter Ehe war Ludwig mit Anna von Glogau (um 1240-1271) verheiratet. In dritter Ehe erhielt er die Hand von König Rudolfs Tochter Mathilde.
1290 ereilte Ludwig ein schwerer Schicksalsschlag: auf einem Turnier in Nürnberg erhielt sein ältester Sohn eine tödlich Wunde. Nachfolger wurde sein Sohn Rudolf I. aus seiner Ehe mit Matthilde von Habsburg – er hinterließ drei Söhne:
Adolf (*1300-1327),
Rudolf II. (*1306) (1329-1353) – regierte auf der Burg Winzingen,
Ruprecht I. (*1309) (1329-1390), der Gründer der Universität Heidelberg – begraben in der Neustadter Stiftskirche, die als Memoria des Hauses Wittelsbach in ihrer heutigen Gestalt errichtet wurde.