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Für Bismarck war die schwarz-rot-goldene Flagge nur ein rotes Tuch: Der wechselvolle und schwierige Karriereweg der deutschen Nationalfarben

Die diesjährige Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Mainz wird ganz im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold stehen. "Diese Farben hatte ich als Rheinland-Pfälzerin bei den Planungen natürlich gleich vor Augen, denn sie gehen auf das Hambacher Fest 1832 zurück", erzählt die amtierende Bundesratspräsidentin und rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

"Die Farben stehen für unser Land, für die Wiedervereinigung und inzwischen auch für ein weltoffenes Deutschland. Wir wollen sie nicht den Rechtspopulisten überlassen, sondern ihre positive Symbolik herausstellen." Für die deutschen Nationalfarben dürfte damit der 3. Oktober 2017 zu einem neuen Glanzpunkt werden in einer ansonsten äußerst wechselvollen Geschichte, die von zahlreichen Rückschlägen geprägt ist.

Napoleons unfreiwilliger Beitrag zur Entwicklung von Schwarz-Rot-Gold

"Brigands noirs", "Schwarze Briganten", nannte der Korse die Mannen des von Major Adolf von Lützow kommandierten Verbandes der preußischen Armee, die 1813/1814 gegen ihn kämpften. Sie trugen - um Geld zu sparen - schwarz umgefärbte Uniformen. Verziert waren diese mit roten Vorstößen und Aufschlägen sowie mit gelben (goldenen) Knöpfen.

Kaum ein Jahr später, am 12. Juni 1815, wurde im Dorf Wenigen-Jena die Jenaer Ur-Burschenschaft gegründet. Mindestens acht der elf Gründungsmitglieder hatten in Lützows Freikorps gekämpft. Sie bestimmten Rot und Schwarz zu den Farben ihres Paniers (Banner, Fahne). Die Schärpen, die bei feierlichen Aufzügen getragen wurden, waren schwarz und rot und mit Gold durchwirkt. Am 31. März 1816 erhielt jene Burschenschaft von Jenaer Frauen ein repräsentatives Banner. Eine in Rot-Schwarz-Rot dreigeteilte, goldumsäumte und mit einem goldenen Eichenzweig in der Mitte versehene Fahne. Diese Fahne wurde am 18. Oktober 1817 zum Wartburgfest mitgeführt und bald zum Wahrzeichen der gesamten deutschen Burschenschaft.

Ein für die Geschichte der deutschen Nationalfarben ganz besonderes Datum, meint der inzwischen emeritierte Kulturwissenschaftler, Soziologe und Studentenhistoriker Prof. Dr. Peter Kaupp, der momentan an einem biografischen Lexikon über die Deutsche Burschenschaft arbeitet. "Spätestens auf dem Wartburgfest (16. bis 18. Oktober 1817), zu dem sich auf Einladung der Jenaer Burschenschaft 500 Studenten von fast allen deutschen Hochschulen versammelt hatten, um der 300-Jahrfeier der Reformation und der Leipziger Völkerschlacht von 1814 zu gedenken, erfuhr Schwarz-Rot-Gold auch eine politische Ausdeutung. Fortan standen diese Farben für die Forderung nach politischer Einheit und bürgerlichen Freiheitsrechten."

Das Hambacher Fest macht Schwarz-Rot-Gold zu "Volksfarben"

Es sollten allerdings noch weitere 15 Jahre vergehen, bevor diese Farben in der heute vertrauten Reihenfolge zu einem - allerdings nur für wenige Tage - leuchtenden Symbol für Demokratie, Freiheitsrechte und ein einiges Deutschland werden sollten. Das war am 27. Mai 1832, dem Tag des Hambacher Festes in der damals zum bayerischen Königreich gehörenden Pfalz.

Für den früheren Bundespräsidenten Theodor Heuß war es "die erste politische Volksversammlung der neueren deutschen Geschichte". An jenem Tage wurde die deutsche Trikolore mit der Aufschrift "Deutschlands Wiedergeburt" auf der höchsten Zinne des Turmes der Hambacher Schlossruine gehisst. Sie zählt heute zu den historisch wertvollsten Exponaten der Dauerausstellung auf dem inzwischen aufwändig restaurierten Schloss. Mehr Infos: http://hambacher-schloss.de

Allerdings: Diese Trikolore war 1832 noch nicht "alleiniger Star", musste sich ihre neue Popularität mit Fahnen in einer anderen Farbanordnung noch teilen. Umstritten ist auch, wer diese deutsche Trikolore erstmals hergestellt hat. Gemeinhin gilt der Neustadter Landwirt und Kaufmann Johann Philipp Abresch als Auftraggeber. Die Fahne sollte ein Symbol für die Nation sein, die über alle Kleinstaaten steht. Und Abreschs Gattin Anna Maria habe diese Urahnin der heutigen deutschen Flaggen genäht.

Der Autor Lutz Frisch, der ein maßgebliches Werk über das Hambacher Fest geschrieben hat, hält diese Version aber für wenig wahrscheinlich. Nach seinen Recherchen ist die schwarz-rot-goldene Hauptfahne des Hambacher Festes, ebenso wie die im Festzug mitgetragene rotweiße polnische Fahne, als Gemeinschaftsarbeit von Neustadter Frauen entstanden (siehe Lutz Frisch, "Deutschlands Wiedergeburt", Seite 159). Unstrittig ist lediglich, dass Abresch der Fahnenträger war. Unstrittig ist auch, dass erstmals die Farben Schwarz-Rot-Gold auch zu "Volksfarben" wurden. Neben einem Fahnenmeer in diesen Farben sah man Männer mit schwarz-rot-goldenen Armbinden und Kokarden (Ansteckern, Abzeichen). Und die Frauen trugen entsprechende Schleifen.

Der Publizist Philipp Jakob Siebenpfeiffer, einer der Haupt-Initiatoren und Gestalter des Fests, schrieb in seiner viel gesungenen Hymne "Hinauf, Patrioten zum Schloss": "Die vielen Farben sind Deutschlands Not, vereinigte Kraft nur zeugt Größe: drum weg mit der Farben buntem Tand! Nur e i n e Farb' und e i n Vaterland!". Er meinte damit Schwarz-Rot-Gold.

Die "deutschen Farben" waren damit erstmals den Akademikerkreisen entwachsen. Auf dem Hambacher Fest wurden Sie von allen Volksschichten für sich vereinnahmt. Sie standen für deren Kampf für ein freies und einiges Deutschland, für die Freiheit der Presse, für Versammlungsfreiheit, für die Souveränität des Volkes, für Bürgerrechte, religiöse Toleranz, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und letztendlich sogar für ein konföderiertes Europa, dem nicht zuletzt auch die Teilnehmer aus Frankreich und Polen Gewicht verliehen.

Die Nachfeiern des Festes dauerten bis 1. Juni an. Am 5. Juli 1832 verbot der Bundestag in Frankfurt am Main, das war das Organ des Deutschen Bundes (1815-1866), "das öffentliche Tragen von Abzeichen in Bändern, Cocarden und dergleichen, sey es von In- oder Ausländern, in andern Farben als jenen des Landes, dem der, welcher solche trägt, als Unterthan angehört." Besonders unter Strafe gestellt wurde dabei das Tragen von schwarz-rot-goldenen Farben, die als ein "...ungesetzliches oder gar revolutionäre Zwecke andeutendes Abzeichen" galten. Mehr noch: Es sei ein "Attentat gegen die Sicherheit und die Verfassung des Bundes".

Allen obrigkeitlichen Repressalien zum Trotz verfestigten sich diese Farben in den damals politisch aktiven Bevölkerungsteilen als ein Symbol für republikanische Freiheiten. Als explizit deutsche Farben wurden sie erst Jahre später wahrgenommen. So dichtete im Vormärz August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Dichter der deutschen Nationalhymne: "Schwarz-Rot-Gold, der Väter Hoffen, sei uns Leitstern alle Zeit, in den Farben treu und offen, wolln wir stehn in Freud und Leid."

Erst als Nationalfarben gefeiert, dann als Farben des Aufruhrs und der Barrikaden verdammt

Eine erneute Wende in der "Karriere" der deutschen Nationalfarben gab es im Jahre 1848. Aufgeschreckt durch die Pariser Februarrevolution und insbesondere durch die Unruhen der deutschen Märzrevolution bestimmten am 9. März 1848 die Vertreter im Bundestag des Deutschen Bundes, die zuvor unter Metternichs Einfluss die strengsten Gegner aller demokratischen Bestrebungen waren, dass Schwarz-Rot-Gold die neuen Farben des Deutschen Bundes seien. Sie begründeten das damals in dem irrigen Glauben, dass diese Farben "die vorgeblichen Farben des ehemaligen deutschen Reichspaniers" gewesen seien. Wie falsch diese Annahme war, beweist Alexander Lechler in seinem Buch "Schwarz-Rot-Gold im Wandel der Zeit": "Zur Zeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gab es keine Nationalfarben, darüber hinaus kannte die mittelalterliche Wappenkunde nur eine Zweifarbigkeit, die Dreifarbigkeit kam erst mit der Französischen Revolution und dem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf."

Auch Bismarck war das bekannt. Bei einer Rede am 15. April 1850 im Erfurter Parlament empörte er sich, dass die schwarz-rot-goldenen Farben "nie die Farben des Deutschen Reichs gewesen sind, wohl aber seit zwei Jahren die Farben des Aufruhrs und der Barrikaden". Er bezog sich dabei auf die Ereignisse der Märzrevolution in Deutschland.

Als am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zum ersten Mal die Deutsche Nationalversamm- lung tagte, waren die Straßen der Stadt und auch der Saal der Paulskirche in Schwarz-Rot-Gold geschmückt. Am 12. November 1848 wurden die Farben per Gesetz als nationales Symbol gefestigt.

Doch auch dieser "Karriereschub" der Farben war nur von kurzer Dauer. Nach dem Scheitern der Revolution wurde am 2. September 1850 die schwarz-rot-goldene Fahne vom Turm der Paulskirche wieder eingeholt. Und in etlichen deutschen Staaten wurden die Farben erneut mit Verboten belegt. Stattdessen wurde, so Prof. Kaupp, "schon während des Krieges 1870/71 das Schwarz-Weiß-Rot des Norddeutschen Bundes auf das neu gegründete Deutsche Reich übertragen und 1892 förmlich zur Nationalflagge erklärt".

Der Farbenstreit in der Weimarer Republik und sein bitteres Ende

Diesmal sollten gut 60 Jahre vergehen, bis diese "Freiheits- und demokratischen Einheits-Fahnen" von 1848 erneut ins politische Rampenlicht gerückt wurden. "Schwarz-Rot-Gold soll Sinnbild nationaler Einheit und staatsbürgerlicher Freiheit sein", forderte der erste Präsident der Weimarer Nationalversammlung Dr. Eduard Heinrich Rudolph David. Er fand Gehör. Die Weimarer Nationalversammlung bestimmte in der Verfassung: "Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold". So eindeutig dieser Beschluss nach außen wirkte, so erbittert wurde weiterhin politisch um diese Farben gestritten. Das zeigt nicht zuletzt auch, dass die deutsche Handelsflagge zur Zeit der Weimarer Republik die kaiserlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot trug, wenngleich mit den Reichsfarben in der oberen Ecke. 1926 eskalierte der Flaggenstreit und führte zum Sturz der Regierung von Reichskanzler Hans Luther.

Radikale von rechts und links äußerten sich verächtlich über das neue Staatssymbol, das Symbol der parlamentarischen Demokratie. 1933 setzte sich Hitler über die Reichsverfassung hinweg und ließ vom Reichspräsidenten Hindenburg verkünden, dass "vom morgigen Tage bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben die schwarz-weiß-rote und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen sind." 1935 wurde die Letztgenannte zur alleinigen Reichsflagge.

Schwarz-Rot-Gold wird per Grundgesetz zur Bundesflagge

Der Parlamentarische Rat, der in den Jahren 1948/49 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beriet - und damit auch die Frage der neuen Nationalfarben - bezog sich in der Entscheidung ausdrücklich auf die so wechselvolle Geschichte von Schwarz-Rot-Gold seit den Jahren 1813/15 und auf das, was diese Farben seit ihren Entstehungstagen symbolisierten: Den Kampf um Freiheit, Demokratie und die Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland.

Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft trat, regelte sein Artikel 22: "Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold."

Auch in der ersten Verfassung der DDR wurden am 7. Oktober 1949 die Farben Schwarz-Rot-Gold zu den Nationalfarben erklärt. Wie stark die Symbolwirkung dieser Farben für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung war, das zeigte sich am 17. Juni 1953, als Arbeiter die rote Sowjetflagge vom Brandenburger Tor holten und stattdessen die in Schwarz-Rot-Gold hissten und mit diesen deutschen Flaggen dann auch durch das Brandenburger Tor marschierten.

Ab dem 1. Oktober 1959 grenzte sich die DDR von der Fahne der Bundesrepublik ab, als sie die Embleme Ährenkranz, Hammer und Zirkel zu Bestandteilen ihrer Flagge machten. 40 Jahre später, gleich nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989, trennten viele Menschen in der DDR diese Embleme wieder heraus. Seit dem 3. Oktober 1990 symbolisiert Schwarz-Rot-Gold die staatliche Einheit Deutschlands.

Erst mit dem Sommermärchen kam die breite Akzeptanz für Schwarz-Rot-Gold

Nach dem Zweiten Weltkrieg stießen in der Bevölkerung staatliche Symbole, auch die Farben, die seit dem Hambacher Fest, der Paulskirche und der Weimarer Republik für Freiheit und Demokratie standen, auf wenig Gegenliebe.

Selbst bei sportlichen Großereignissen wie dem Gewinn der Fußball-WM 1954 in Bern, 1974 in München und auch der WM 1990 in Rom. Erst das "Sommermärchen" 2006 im eigenen Land brachte die Wende. Schwarz-Rot-Gold wurde zu den Farben eines weltoffenen, demokratischen Deutschlands. Und zu einem Symbol der Lebensfreude wie auch der Begeisterung für die deutsche Nationalelf rund um Klinsmann und Löw. Darauf waren die Menschen stolz. Sie wollten erstmals nach den dunklen Tagen der jüngeren Geschichte wieder "Flagge zeigen". Selbstbewusst. Aber ohne nationales Pathos. Eher identitätsstiftend. Ein Symbol des fröhlichen Miteinanders. Und sie fühlten sich dabei gleichzeitig auch immer als ein Teil Europas. Ganz so, wie auch viele Teilnehmer des Hambacher Festes empfunden hatten. Diese traten 1832 mutig für ein vereintes, freies und demokratisches Deutschland ein, das idealerweise Bestandteil eines ebenso freiheitlichen und demokratischen, konföderierten Europas sein sollte.

Der Focus auf diese so rühmliche Freiheitsgeschichte der Deutschen in Schwarz-Rot-Gold am diesjährigen Tag der Deutschen Einheit in Mainz könnte diese Akzeptanz jetzt noch um einen ganz wichtigen Baustein ergänzen: den um das Wissen über die geschichtliche Herkunft und Karriere von Schwarz-Rot-Gold. Denn darauf, auf die nunmehr 204jährige Geschichte, können die Deutschen genauso stolz sein wie auf das, wofür Deutschland heute mit diesen Farben steht: für Gleichheit (auch der Geschlechter), Freiheit (auch Pressefreiheit und Glaubensfreiheit) und für ein weltoffenes, tolerantes Land mitten in Europa, und als ein Teil dieses Europas.

Buchtipps:

Alexander Lechler: "Schwarz-Rot-Gold im Wandel der Zeit". Die Geschichte der deutschen Nationalfarben seit 1815 bis heute. 1 Auflage 2011, 78 Seiten, 7,90 Euro, Frieling-Verlag Berlin, Rheinstraße 46,12161 Berlin, Telefon: (0 30) 7 66 99 90, http://www.frieling.de

Prof. Dr. Peter Kaupp: "Von den Farben der Jenaischen Urburschenschaft zu den deutschen Farben. Ein Beitrag zur Frühgeschichte von Schwarz-Rot-Gold", erschienen 1989 auf den Seiten 77 bis 106 in "Einst und Jetzt, Jahrbuch 1989 des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung."

Lutz Frisch: "Deutschlands Wiedergeburt. Neustadter Bürger und das Hambacher Fest 1832". 335 Seiten. Erschienen 2012 in der Schriftenreihe der Bezirksgruppe Neustadt im Historischen Verein der Pfalz.

Michael Krausnick: "Johann Georg August Wirth. Vorkämpfer für Einheit, Recht und Freiheit. Eine Biografie". 315 Seiten. Erschienen 2011 im Wellhöfer Verlag, Mannheim.

 

Adressen und Kontakt:
Stiftung Hambacher Schloss

Tourist-Information Neustadt an der Weinstraße

Autor: gika-press Giesbert Karnebogen