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Historisch belastete Straßennamen

Entwicklung der Straßenbenennung und Hintergrund der Umbenennung

Den Überlieferungen zufolge entstanden die ältesten Straßennamen im Mittelalter in den Städten. Die Namen wurden aus informellen Kommunikationszusammenhängen gebildet. Im alltäglichen Gespräch bezogen sich Menschen auf Orte in Städten und beschrieben, was es dort gab. Man sprach beispielsweise von der Kirchstraße, weil sich dort eine Kirche befand oder von einer Metzgerstraße, weil es dort einen oder mehrere Metzgerbetriebe gab. Die Straßennamen besaßen damals hauptsächlich eine Orientierungsfunktion.

Im Zuge des Bevölkerungswachstums, den Anfängen der Industrialisierung und in Folge der Urbanisierung (Flucht vom Land in die Stadt) kam es im 18. und 19. Jahrhundert dazu, dass neue Stadtteile in den Städten entstanden und demzufolge neue Straßen benannt werden mussten. Aufgrund des großen Bedarfs an Namen wurden die neuen Straßen erstmals nach Militärs und Angehörigen der Herrschaftshäuser benannt. Zunehmend hatten die Herrschenden den politischen Gehalt von Straßennamen erkannt und nutzten diesen auch als Verbreitung ihrer Ideologien. Neben der Orientierungsfunktion trat nun auch die Erinnerungsfunktion bzw. Bewahrungsfunktion in den Vordergrund.

Der Höhepunkt der Politisierung von Straßennamen erfolgte in der Nazi-Diktatur. Im Zuge der großen Benennungs- und Umbenennungswelle von Straßennamen in der Zeit von 1935 – 1938 wurden vermehrt Straßen nach „Vorbildern und Wegbereitern“ der Nazis benannt, um die Ideologie zu verstärken. Auch im Stadtgebiet von Neustadt an der Weinstraße kam es in dieser Zeit zu vielen Neubenennungen und Umbenennungen, wie die Lüderitzstraße benannt nach Adolf Lüderitz (1938), Von-Wissmann-Straße benannt nach Hermann von Wissmann (1938), Gustav-Nachtigal-Straße benannt nach Gustav Nachtigal (1938) und die Karl-Helfferich-Straße benannt nach Karl Helfferich (1933), zeigen.

Politisch missliebige Personen, nach denen die Straßennamen früher benannt waren, wurden eliminiert. Nach dem Zerfall von Nazi-Deutschland und der Besetzung durch die Alliierten kam es auch bei den bereits benannten Straßen zu „Umbenennungsaktionen“. Durch diese Maßnahmen sollten alle vorbelasteten Straßennamen aus der Vergangenheit umbenannt werden. Dieses Ziel wurde in vielen Städten, ebenso in Neustadt an der Weinstraße, nicht ganz erreicht.

Um die Vergangenheit aufzuarbeiten wurde in der Stadtratssitzung am 24.09.2019 eine Überprüfung sämtlicher Straßennamen im Stadtgebiet auf politische Belastung hin in Auftrag gegeben. Abschließend wurde das Projekt Straßennamen ins Leben gerufen, welches in Kooperation mit dem Institut für geschichtliche Landeskunde Rheinland-Pfalz durchgeführt wurde. Ziel war es, die Straßennamen der Stadt vor allem hinsichtlich antisemitischer, nationalsozialistischer, kolonialistischer und frauenfeindlicher Gesichtspunkte, zu untersuchen. Auf Grund dieser Ergebnisse sollte ein Gutachten, der sog. „Abschlussbericht“, über die umstrittenen Straßen erstellt werden. Die Aufarbeitung bezieht sich auf die historischen als auch sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkte. Zudem wurden für interessierte Bürgerinnen und Bürger Vorträge von Historikern gehalten und eine Ausstellung in Form von Infotafeln geschaffen. Für die Erstellung des Abschlussberichtes wurden zunächst die ca. 650 gelisteten Straßennamen im Stadtgebiet nach den kritischen Gesichtspunkten überprüft. Hierzu beschränkte man die Überprüfung auf Personen, die im 19. und 20. Jahrhundert mitwirkten. Der Abschlussbericht wurde am 15.09.2022 veröffentlicht. In diesem sind die kritischen Biografien der umstrittenen Persönlichkeiten, die einen Straßennamen in Neustadt tragen, in Kurzfassung dargestellt. Zudem wurden bei den umstrittenen Straßennamen einige Beispiele von Umbenennungsentscheidungen in anderen Städten angeführt.

Download: Abschlussbericht Straßennamen in “Neustadt an der Weinstraße“.

Die Stadtratsbeschlüsse, Bürgerbeteiligung und Allgemeinverfügung

Der Stadtrat hat am 14. Februar 2023 einstimmig beschlossen, die Verwaltung zu beauftragen, gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtratsfraktionen und den Anwohnerinnen und Anwohnern der Karl-Peters-Straße, der Gustav-Nachtigal-Straße, der Lüderitzstraße und der Von-Wissmann-Straße sowie der Karl-Helfferich-Straße über die Ergebnisse des Abschlussberichtes „Straßennamen in Neustadt an der Weinstraße“ in einen Dialog zu treten. Hierzu fanden am 22. März für die Karl-Helfferich-Straße und am 29. März 2023 für die Straßen des »Afrikaviertels« Anliegerversammlungen statt. Neben den Versammlungen hatten die Anwohnerinnen und Anwohner die Möglichkeit, in einem Onlineformular auf der Internetseite sowie per E-Mail ihre Meinung zur Debatte sowie weitere Hinweise abzugeben.

Nach Vorberatung der politischen Gremien wurde im Stadtrat am 16.05.2023 einstimmig der Beschluss gefasst die fünf problematischen Straßen, nämlich die Karl-Peters-Straße, die Gustav-Nachtigal-Straße, die Lüderitzstraße und die Von-Wissmann-Straße sowie die Karl-Helfferich-Straße, umzubenennen. Zudem beschloss der Rat weitere Inhalte:

  • ein Kriterienkatalog für die Umbenennung der betroffenen Straßen sowie für die künftige Benennung von Straßen, Wegen  und Plätzen in Neustadt an der Weinstraße
  • natürliche Personen erhalten gebührenfreie Verwaltungsleistungen im Rahmen der Umbenennung
  • Gewerbetreibende und freiberuflich Tätige erhalten eine Einmalpauschale in Höhe von 500 Euro
  • Erstellung von Ergänzungsschilder für alle weiteren Straßen, die nach diskussionswürdigen Personen laut Gutachten, benannt sind

Weiterführende Informationen finden Sie auch in der Niederschrift des Tagesordnungspunktes aus der Sitzung sowie der Beschlussvorlage. Im Anschluss an den Beschluss, wurden die Bürgerinnen und Bürger gebeten für die fünf in Rede stehenden Straßen geeignete Straßennamen zu finden. Dabei gingen ca. 330 Vorschläge ein, welche nach den aufgestellten Kriterien überprüft wurden.

1. Umbenennung der Karl-Helfferich-Straße
Es wurde deutlich, dass eine Verlängerung der Exterstraße und hierdurch eine Umbenennung der Karl-Helfferich-Straße sinnvoll sein könnte. Dies hätte die Vorteile, dass der Name recht kurz und eingängig wäre und der Straßenzug von Norden nach Süden einen nahezu einheitlich durchgehenden und bereits bekannten Namen erhielte. Die Straße wäre fortan leicht zu finden. Die Anwohnerinnen und Anwohner wurden über diesen Vorschlag postalisch informiert. Die Rückmeldungen waren mehrheitlich positiv. Die Arbeitsgruppe, die der Stadtrat mit Beschluss vom 16. Mai 2023 einsetzte, empfiehlt daher ebenso den Straßennamen Exterstraße.

Anlage:
Download: Auswertung der Umfrage

2. Umbenennung der betroffenen Straßen im »Afrikaviertel«
Für die Straßennamen im »Afrikaviertel« wurde durch die Arbeitsgruppe eine Umfrage angeregt, die den Anwohnerinnen und Anwohnern Straßenamen mit Bezug zum Kontinent Afrika vorschlug. Im Ergebnis der Umfrage wurde aber deutlich, dass der Bezug zu Afrika weniger identitätsstiftend ist, als dies bisher angenommen wurde. Darüber hinaus äußerten die Anwohnerinnen und Anwohner der Von-Wissmann-Straße eine große Sympathie für die Umbenennung der Straße in Leibnizstraße. Daher hat die Arbeitsgruppe der Verwaltung empfohlen, dem Wunsch der Anwohnerinnen und Anwohner der Von-Wissmann-Straße zu folgen und in den anderen Straßen eine abermalige Befragung durchzuführen.
Im Ergebnis der zweiten Befragungwurde ersichtlich, dass in der Gustav-Nachtigal-Straße die deutliche Präferenz besteht, dass die Straße in Nachtigallstraße umbenannt wird. In der Karl-Peters-Straße wird von den Teilnehmenden der Umfrage Maria-Merian-Straße präferiert. Die meisten Teilnehmenden der Umfrage, die in der Lüderitzstraße wohnen, sprachen sich für die Königsmühlstraße aus.

Auf Grundlage dieser Bürgerbeteiligung beschloss der Stadtrat am 19.12.2023 folgende Umbenennungen von Straßen:

  1. Die Gustav-Nachtigal-Straße in Nachtigallstraße.
  2. Die Karl-Peters-Straße in Maria-Merian-Straße.
  3. Die Lüderitzstraße in Königsmühlstraße.
  4. Die Von-Wissmann-Straße in Leibnizstraße

Im Anschluss an den Beschluss wurde am 21.03.2024 eine Allgemeinverfügung über die Straßenumbenennungen im Amtsblatt erlassen, welche nochmals eine ausführliche Begründung und die nächsten Schritte der Umbenennung darlegt.

Anlagen:
Auswertung der ersten Umfrage
Auswertung der zweiten Umfrage
Allgemeinverfügung der Stadt Neustadt an der Weinstraße über die Umbenennung der Straßen des Afrikaviertels